Ich schäme mich
Wisst Ihr was? Ich schäme mich in Grund und Boden für dieses Wahlergebnis.
Was haben wir gewählt? Mit unter 5% der Stimmen haben wir uns die AfD viel nachhaltiger ans Bein gewählt als im Fall ihres Einzuges ins Parlament, mit weiteren knapp 5% fiel die FDP aus dem Bundestag hinaus, worüber die einen froh sind, und die Fans der Justizministerin nicht. Wir werden ihr nachtrauern, das sage ich Euch hier und heute. Auf die Würstchen in Streifenhemden können wir verzichten, auf jemanden wie sie nur schwer.
Die AfD. Ich hatte es in einem meiner Beiträge vorher geschrieben, ich würde nur bei der AfD Wahlkampf sehen, und wie bitter habe ich Recht behalten. Noch am Vortag der Wahl war ich auf süddeutschen Landstraßen unterwegs, und habe nur AfD-Wahlplakate gesehen, und ein oder zwei von den Grünen. In diesem Gebiet haben sich knapp 7% für eine Partei entschieden, die mit einem smarten, etwas zu dünnen Herrn Professor an der Spitze all diejenigen mit Einfluss und Geld in den Hinterzimmern ihrer mittelständischen Firmen erreicht hat und zugleich jeden Tag live auf facebook demonstiert, wie einfach es ist, Leute zu politisieren, die vorher noch nie in einem Wahllokal gestanden sind.
Vor Jahren schrieb einmal jemand, twitter sei ein einfaches tool für coole Leute, für facebook gelte dies hingegen umgekehrt. Wir sehen es bestätigt auf der Pinnwand der zu oft in diesem Beitrag schon erwähnten Gruppierung. Politisches Bekenntnis per facebooklike, was die Piraten nicht geschafft haben, weil sie zu tief in der Technik und in der Materie stecken, was die etablierten Parteien nicht geschafft haben, weil sie keine Ahnung von der Technik und der Materie haben, haben die Luckes dieses Landes schmerzhaft demonstriert: es geht. Man kann das faule Klickvolk bewegen, aktiv zu werden. Mit einfachen Botschaften, und wenn es scheinbar um den eigenen Geldbeutel geht – und indem man ihnen das Gefühl gibt, etwas bewirken zu können und dazuzugehören. Brandgefährlich.
Während in den Medien wochenlang die bekannten Politikdarsteller*innen aller Parteien zu sehen gewesen sind, die brav ihre Rollen gespielt haben, außer Steinbrück, der noch am Wahlabend sowas von erleichtert aussah, dass er nicht Kanzler werden muss, hatten die AfD-Anhänger*innen die Schlacht in den facebook-Kommentaren und den Foren der etablierten Zeitungen ausgerufen. Kaum ein Artikel blieb unkommentiert, kaum ein Posting unter 100 Kommentaren. Kostet keine müde Mark, erreicht Millionen Leser*innen.
Talkrunden, Duelle, selbst Stefan Raabs Versuch, Bewegung in den Wahlkampfzirkus zu bringen, sind gescheitert an der gläsernen Wand, die der Wähler zwischen sich und den Abgeordneten spürt. Wo soll er das Gefühl haben, etwas zu bewegen, wenn seit Jahren dieselben Akteure auf dieselben Moderatoren treffen und nur das Studiodesign sich ändert?
Wo soll der Wähler andererseits das Gefühl haben, etwas bewegen zu können, wenn er sich die Mühe macht und auf die Seiten der Ortsverbände seiner Parteien geht und dort im Wahlmonat die aktuellsten Beiträge drei Wochen alt sind?
Ich schäme mich, ja. Weil wir wieder bereit sind, uns offen zur Abschottung zu bekennen, offen dazu, lieber unseren privaten Besitz im Blick zu haben als das Gemeinwohl, das in diesem Jahrhundert nicht am Gartenzaun und nicht an den Landesgrenzen, nicht einmal am Rand von Europa endet. So ist es nun einmal. Und das ist gut so.
Wie das geschehen konnte, ist einfach: Wir haben die letzten Jahre erheblich dafür gesorgt, dass niemand sich mehr mit seinem Nachbarn solidarisch fühlt. Niemand will mehr teilen, niemand beim Nachbarn klingeln, um ein Päckchen Mehl auszuleihen, stattdessen fährt man am Sonntag quer durch die Stadt zur Tankstelle. Die Grenze, ab der man sich nicht mehr zu einer Mitte, einer Norm, einem Durchschnitt zugehörig fühlt, wird immer früher eingezogen. Kein eigenes Haus – dann darfst du leider nicht mitspielen. Nur zweimal im Jahr in den Urlaub? Kümmerst du dich eigentlich angemessen um deine Kinder? Usw. Das lässt sich beliebig fortsetzen. Angesichts all dieser Anforderungen an messbaren und vorzeigbaren Erfolg (und die damit einhergehende Versagensangst) ist es kein Wunder, wenn immer weniger Menschen glauben, Zeit oder Geld für ein Kind zu haben, und umgekehrt diejenigen für asoziale Schmarotzer gehalten werden, die welche haben.
Außerdem haben wir jeden Maßstab verloren für die reale Not anderer Menschen. Wir speisen einerseits die Leute mit Geldbeträgen ab und überlassen sie in ihren Wohnungen dann sich selbst, und andererseits sind wir nicht bereit, Flüchtlinge bei uns aufzunehmen. Und über die Behandlung derjenigen, die wir aufgenommen haben, will ich an dieser Stelle lieber nicht sprechen, sonst wird der Text unzitierbar.
Diese Wahl hat sehr deutlich gemacht, was für ein dummes, neidisches Volk wir sind, und wie ekelhaft wir in unseren überheizten Wohnungen mit den vollen Kühlschränken voller Fertigfraß geworden sind.
Ich wünsche mir, dass die Union ihren Wahlsieg bezahlen muss mit einer Minderheitsregierung. Ich wünsche mir, dass SPD und Grüne beide standhaft bleiben, und die Koalition verweigern. Wollen wir doch mal sehen, wie wir dann in ein oder zwei Jahren bei den Neuwahlen entscheiden werden.
- Hinterm Stall die Blumen – Britta Freith
- „Schluss mit dem Konkurrenzkampf um das richtige Lebensmodell“