4 Jahre Suna

Vier Jahre mit ihr, mit Euch – mit all den anderen Figuren aus dem Roman, mit Leserinnen und Lesern, mit Buchhandlungen, dem Verlag (!), mit Presse und Rundfunk und einmal sogar Fernsehen (oh, falsch erinnert, das war für Länger als sonst). Vier Jahre mit so vielen Menschen, die mir geschrieben haben, zu Lesungen gekommen sind, und die Taschenbuchausgabe vorbestellt haben, so dass die erste Auflage schon aus war, bevor der Verkauf überhaupt losging. Einmal Platz 50 auf der Bestsellerliste, das ist der beste aller Plätze, und dann so lang so liebevoll besprochen in der Brigitte: das kam alles unerwartet und nichts davon war geplant gewesen, nichts davon ist das Ergebnis von Marketingzauberei.

All das kam von Euch, von meinen Leserinnen und Lesern, und von all den Bloggerinnen und Blogger, die über das Buch geschrieben haben (ein wenig scrollen).

Vier Jahre Suna ist auch eine vier Jahre andauernde Herausforderung für mich, öffentlich über Heimat und Identität zu sprechen, über einen einzelnen, aber repräsentativen Lebensweg – wir sind viele, wir Kinder der ersten Gastarbeitergeneration.
Wir sind viele, die zerrissene Familien erlebt haben, weil wir „nach Hause“ geschickt worden sind zu den Großeltern oder Tanten und Onkeln, die die Reise nach Deutschland nicht gewagt haben oder schlicht durchgefallen sind bei teils fragwürdigen Eignungstests.
Wir sind immer noch viele, die in Deutschland geblieben sind und letztlich in deutschen Familien aufgewachsen sind, die Leserzuschriften sprechen da eine deutliche Sprache.

Unsere Eltern haben dieses Land mitgeprägt, durch ihre Bereitschaft, sich in die Hallen der aufstrebenden Industrien zu stellen, und später sieben Tage die Woche im eigenen kleinen Betrieb zu arbeiten. Sie haben das Land mitgeprägt, weil sie nicht – wie vorgesehen – nach zwei Jahren wieder zurückgegangen sind in ihre Dörfer. Sie haben Kinder bekommen, sie auf die deutschen Schulen geschickt und sich nicht selten gewundert, was da für seltsame Gestalten „Lehrer“ genannt werden, sie haben sich an die eigenen Dorfschulen erinnert und wären nie im Leben darauf gekommen, dass man „im Diskurs“ lernen kann (eine Sache, die vielen nicht-deutschen Eltern noch heute fremd ist: die Kinder sind nur 3-4 Stunden in der Grundschule am Tag, und das soll was werden?).

Vier Jahre Suna – während Syrien zerfallen ist und hierzulande die AfD gegründet wurde, und eine schon lange nicht mehr da gewesene Welle an Gewalt gegen Geflüchtete, gegen Fremde, gegen „die Anderen“ entstanden ist. Über die Ursachen habe ich schon ein paarmal nachgedacht, und nach wie vor bin ich überzeugt, dass die Ablehnung alles Neuen, Fremden, Andersartigen damit zu tun hat, dass die eigene Identität nicht (mehr) sicher zu sein scheint.

Ich habe, auf der Suche nach einem schönen Zitat für den Buchgeburtstag ein wenig herumgeblättert, und bin auf diesen Absatz gestoßen, der mir damals, als ich ihn schrieb, individuell vorkam, meiner eigenen Biografie geschuldet, und meiner persönlichen Unfähigkeit, mich irgendwo zugehörig zu fühlen. Heute aber glaube ich, dass darin viel mehr steckt als nur die relative Unklarheit einer 18-jährigen. Heute bin ich sicher, dass ein gehöriger Anteil der Identitätsverunsicherung, die zu Fremdenfeindlichkeit und Gewalt führt, nicht nur von Angst, sondern von Neid gefüttert wird.

Kaurismäki musste Kusturica weichen und Zeljkos
Freunde tranken und sangen die Lieder mit und benahmen
sich wie die Männer im Film, die sich benahmen wie
Männer in Kroatien (oder Serbien?).
Ihr habt irgendwie von allem zwei, sagte ich, und war
neidisch, weil sie in meinen Augen Serben oder Kroaten
waren und nur zusätzlich in Deutschland lebten. Sie wiederum
sagten, ihre Eltern hätten alles in Jugoslawien zurückgelassen
und sie selbst säßen hier mit nichts und nur
die Großeltern wären noch richtige Serben. Oder Kroaten.
Sie hätten ihre Sprachen und meine, hielt ich dagegen,
sie hätten ihre Heimat und Deutschland.
Und wenn das noch nicht reicht, sagte ich, und das faszinierte
mich im Wesentlichen, könnt ihr sagen, ich bin, und
einen Beruf nennen oder eine Nationalität oder wenigstens
einen Namen, den eure Mutter euch gegeben hat.
Sie sagten, das gerade könnten sie nicht! Sie seien ja eben
keine Serben mehr, keine Kroaten. Dort nicht. Und hier
seien sie keine Deutschen.
Wie sollten sie auch verstehen, was mir fehlte, wenn ich
sagte »Ich bin adoptiert«, was für mich klang wie amputiert,
und dann stand ich vor den türkischen Läden und
drückte mir die Nase an der Scheibe platt, weil ich dachte,
da drin, der eine, genau, der hat doch dieselben Augen wie
ich?
Ich konnte sagen »Ich bin achtzehn«, und es blieb das
einzig Gewisse.

(Suna, TB-Ausgabe Seite 236)

Irgendwo anzukommen, zuhause zu sein, sich seiner selbst sicher sein – das ist unter Umständen ein wirklich langer Weg. Mancher braucht dafür wesentlich klarere Hinweise als ein anderer. Wir sollten das bedenken, wenn wir heute nach Lösungen suchen.

 

Suna wird 4, und es gibt sie nur noch als Taschenbuch oder als eBook. Bitte kauft sie nach wie vor in Eurer Buchhandlung, online oder offline. Und nicht bei amazon. Aus Gründen. Danke.