Kein Wasserglas, nirgends.
Ein Veranstaltungskonzept, das sich mir vor meinem eigenen ersten Buch nie so recht erschlossen hat. Und danach auch nicht. Ein*e Autor*in schreibt ein Buch und liest dann eine Stunde oder anderthalb vor Publikum daraus vor. Neben sich ein Wasserglas. Für rund 8 Euro Eintritt. Oder auch 10.
Und dann?
Es mag sein, dass es begnadete Vorleser*innen gibt, die a) hervorragende Texte schreiben und b) dieselben hervorragend vortragen können. Die Regel ist das nicht. Warum? Weil viele Texte nicht zum Vortrag geschrieben worden sind. Sie sind keine Bühnentexte, sondern Romane, deren Handlungsbögen sich oft nicht in einer Stunde so einfangen lassen, damit das Publikum etwas davon hat. Oder es kommen zu viele Figuren vor. Oder zu viele Schauplätze. Oder zu viel Beschreibung und zuwenig Aktion. Oder zu viel Aktion. Nur ganz selten sind Texte so, dass sie einen sofort einsaugen, und dann ist es ein Glückstreffer, wenn Autor*innen sie entsprechend lesen können.
Fehlerquellen sind mannigfaltig, man kann zu schnell, zu langsam, zu ambitioniert lesen. Oder überbetont. Oder, sehr schlimm, so als hätte man Kinder vor sich.
Als ich das erste Buch noch nicht ganz fertig hatte, saß ich mit meinem damaligen Verlag in einer Lesereisenbesprechung, und ich hatte regelrechte Panik davor, wie das gehen sollte, irgendetwas aus Suna zu lesen, das verständlich aber nicht zu komplex ist. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich das Dilemma umschiffen könnte, dass ich dachte, ich würde alle zu Tode langweilen, weil ich genau wusste, dass ich nicht die beste Vorleserin bin.
Dann kam der Zufall ins Spiel: mein allererster Leseraum war für Vorträge konzipiert, hatte Technik und Projektionsfläche, und ich hatte ihn mir eine Woche zuvor angesehen. Also habe ich einen Vortrag ausgetüftelt, der einführt in das komplexe Beziehungsgeflecht der Familien in Suna, in die Verfassung der Hauptfiguren und ebenso den geschichtlichen und politischen Hintergrund beleuchtet, ohne den Suna, so autobiografisch die Geschichte auch sein mag, nicht hätte stattfinden können.
Für diese Aspekte dann passende Lesestellen zu finden, während hinter mir an der Wand die Namen der Figuren aus dem Abschnitt eingeblendet waren, war dann ein Klacks.
Natürlich war meine erste Version völlig überfrachtet. Unlesbar teils auch.
Ich habe dann von Abend zu Abend geändert, gelöscht, vereinfacht, und hatte gegen Ende der Lesephase eine perfekte Präsentation für meine Zwecke, und etwa einhundert Stunden investiert.
Drunter geht es auch nicht.
Das merke ich an meinen Abenden mit Länger als sonst ist nicht für immer. Obwohl weit weniger komplex, was die Figurenanzahl angeht, ist es notwendig für mich, vor dem Vorlesen sichergestellt zu haben, dass das Publikum weiß, wer da vorkommt. Beispielsweise Lews Geschichte bereits kennt, weiß, wo Ira lebt, was sie studiert hat, dass sie ihren Vater auf seinem letzten Weg begleitet, solcherlei. In welcher Zeit die Geschichte spielt. Da kann es hilfreich sein, Bilder vom Auto des Jahres 1976 zu zeigen, um Bilder im Kopf der Zuhörer*innen zu erzeugen, die das Jahr 1976 in den allermeisten Fällen erlebt haben. Oder zumindest wissen, was ein Simca ist.
Und weil Lews Geschichte in Ostberlin beginnt, ist es ebenso hilfreich, auch da ins Jahr 1976 zu schauen und festzustellen, dass das nicht nur das Biermann-Jahr gewesen ist.
Ich könnte das alles nur erzählen.
Mache ich ja auch.
Aber Bilder zu haben, Grafiken oder Fotos, kurze Schlagworte, das hilft nicht nur dem Publikum, sondern hält auch mich auf der Spur dessen, was ich sagen will. Ich verzettele mich dann nicht in Details, sondern habe meinen roten Faden, und lande zielsicher bei meinen Lesestellen, die das vorher Gehörte aufgreifen und ganz anders wirken können. Weil sich die Zuhörer*innen nicht während des Lesens an „ihr“ 1976 erinnern, was sie unweigerlich tun würden, sondern schon da sind, und die Geschichte ganz anders aufnehmen können. Auch für diese Leseabende habe ich inzwischen rund 150 Stunden Vorbereitung investiert, und auch diesen Vortrag schaue ich mir vor jedem Abend noch einmal neu an, um ihn an den Leseort oder die Lesereihe anzupassen oder Erfahrungen der Vorabende mit einzuarbeiten.
Denn: wozu sind Lesungen da?
Für Buchhändler*innen.
„Zum Verkaufen“, hat mir ein Buchhändler mal gesagt, und nach einer Weile des Widerstandes gegen solcherlei profanen Anspruch muss ich zugeben, dass das natürlich ein wesentlicher Aspekt ist. Und Lesungen dienen dazu, auch den anwesenden Buchhändler*innen noch einmal neue Aspekte zu zeigen, vielleicht neue Argumente zu geben, damit sie das Buch besser empfehlen können.
Das war ein Aspekt, der mir neu war, weil bei den Lesungen aus Suna die meisten Besucher*innen das Buch schon kannten und besaßen, dieses Mal aber kommen die Leute und kennen das Buch nicht. Das verändert die Anforderungen an meine Lesung natürlich. Beispielsweise entfällt fast immer die Fragerunde, oder die Diskussion. Dafür muss ich viel mehr darauf achten, die Zuhörer*innen nicht schon in den ersten fünf Minuten zu verlieren. Bilder dabei zu haben, hilft da enorm.
Zum anderen bringen sie mir Kontakt zu „meinen“ Buchhändler*innen, die mir aus ihrem Berufsalltag erzählen, mir Einblicke geben in die Marktsituation und mir weiterhelfen zu verstehen, warum ein Buch „läuft“ und ein anderes nicht. Oder zu lernen, wie schwer es teilweise ist, den Laden für eine Veranstaltung voll zu bekommen, selbst dann, wenn die Autor*innen landauf landab bekannt sind. Manchmal ist es deswegen, manchmal trotzdem.
Für Leser*innen
Und sie bringen mir Kontakt zu meinen Leser*innen, von denen ich manche aus dem Netz kenne, manche persönlich. Manche über unerwartete Ecken. Viele sind ganz neu, und manchmal ergibt sich nach der Lesung noch ein Gespräch. Momente und Einblicke, die mir sehr wichtig sind und mir vor der nächsten Lesung helfen, mein Lampenfieber ein klein wenig besser in den Griff zu bekommen.
Für Autor*innen
Nicht zuletzt bringen sie natürlich auch Honorar, das will ich nicht verschweigen.
Was kann schiefgehen?
Alles. Das bisher Schwierigste war sicher jene Lesung, bei der ich das Publikum nicht sehen konnte, weil die Bühnenbeleuchtung so eingestellt war. Hätte ich vorher gewusst, was das für Auswirkungen hat, hätte ich es geändert. So aber hatte ich während des Vortrages noch guten Kontakt zum Publikum, während des Lesens ist der Faden dann gerissen, und es war nicht mehr zu retten, obwohl ich während des Lesens schon gemerkt hatte, dass sich die Stimmung im Raum gewandelt hatte. Beim nächsten Mal bin ich souveräner damit und breche ab, verändere, und lese weiter. Passiert.
Meine größte Angst war, dass ich Fragen gestellt bekomme, die ich nicht beantworten kann. Oder will. Ist noch nie vorgekommen. Vielleicht, weil ich eine Plaudertasche bin (aber nie über vorher festgezurrte Grenzen hinaus erzähle).
Oder dass die Leute aufstehen und gehen, sobald sie herausgefunden haben, dass Suna autobiografisch motiviert ist, weil es dann ja keine Leistung mehr ist, ein Buch zu schreiben über das eigene Leben. (Bin ich selber auf meine eigenen damaligen Ressentiments reingefallen). Das Gegenteil ist eingetreten.
So groß meine Überwindung war, dieses „Lesung“ zu wagen, so groß war und ist die Belohnung dafür. Und ich danke allen, die mich eingeladen haben und noch immer einladen, ich habe in 2015 Lesetermine bis in den Oktober (werden ständig aktualisiert), und natürlich danke ich dem Publikum.
Wasserglas bekomme ich natürlich nach wie vor, aber vor lauter Erzählen und Bilderzeigen und dann-doch-noch-Lesen bleibt es in den meisten Fällen unberührt.
- Im Keller war allerdings noch Licht
- Lesung im Mütterzentrum Mössingen