Eine Nacht und alles – Katrin Seddig

einenachtundallesWas für ein Buch, randvoll mit dieser Sprache, für die ich Katrin Seddig nicht nur verehre, sondern auch liebe, ihre kleinen Wortewörter, Satzsätze, die so nebenher noch viel mehr mit sich tragen als nur ihre Bedeutung, die so kleine Nebenresonanzräume haben, die mir beim Lesen das Gefühl geben, die sind nur für mich da versteckt.

Ich mochte schon ihr voriges Buch, den „Eheroman“ nicht weglegen, auch wenn ich mir die Protagonistin manchmal gern so richtig vorgeknöpft hätte, dass sie aufwacht und ihr Leben selber in die Hand nimmt und sich nicht herumspülen lässt von den Dingen, die ihr da so zustoßen – so ganz anders ist Irene, die Hauptfigur in „Eine Nacht und alles“.

Sie ist Mutter eines eben ausgebüxten 17-jährigen Kindes, das nach Hessen ausgewandert ist, wo man eben so hinflieht aus Hamburg, sie ist die Ehefrau von Per, einem Mann, der „Obsession“ benutzt und vollkommen ironiefrei Musik aus den Neunzigern hört, der keine Schwierigkeiten mit Best-of-CDs hat (das unterstelle ich ihm einfach jetzt), und der seine Frau liebt, wie sie sich selbst nicht lieben kann oder nicht lieben will, vielleicht ist die Liebe aber auch weggespült worden, abgerieben im Alltag, den Frauen sich so sonderbar kompliziert machen können, vor dem Männer wohl reihenweise nichtverstehend kapitulieren. Nicht so Per. Per ist sowieso meine Lieblingsfigur, wie er so dahinzutreiben scheint und dennoch die Fäden in der Hand behält, der Halbschwede mit den anderen Erziehungsansichten und der Portion an Lebenszuversicht, die Irene fehlt.

Obwohl sie Irene nicht wirklich fehlt, und das ist das Bemerkenswerte an dem Buch: es verrät niemals seine Figuren, und wo im Eheroman noch ab und an etwas beißendes und vielleicht auch knarzig Zynisches auf den Küchentisch haut, so schimmert es in „Eine Nacht und alles“ nur noch an anderthalb Stellen durch, was eine Meisterleistung ist bei der Geschichte, die Irene und Per erleben, Irene auf dem inneren und äußeren Weg nach Hessen, zweimal, auf dem Weg in die Kindheit, einmal, auf dem Weg in die Arme eines Mannes, der nicht Per ist, zweimal, und schließlich auf dem Weg zu sich.

In einer Übergangssituation steckt sie, das Kind aus dem Nest geflohen, und so leicht scheint das nicht zu sein, das einzige Kind loszulassen, wenn man selbst so wenig aufgeräumt ist in sich drin, und trotzdem geschieht etwas mit dem Leser, mit der Leserin, mit mir in diesem Falle: ich mochte diese Mutter. Ich mochte auch das Kind, ich mochte Per, den Liebhaber vielleicht weniger, aber auch, und ich konnte sie alle verstehen, und ich wünsche mir mehr Pere (Pers?) und mehr Irenen, die nicht so viel denken, sondern machen, auch wenn’s vielleicht falsch aussieht und Verwicklungen dabei herauskommen – so ist eben das Leben, und das kann man nicht führen vom Sofa aus, und vom Schreibtisch aus auch nicht, darum hinaus in die Buchhandlungen, und das Buch kaufen, und dann mit der Picknickdecke ans nächste Wasser und hineintauchen in dieses Buch – Danke, Katrin, für „Eine Nacht“ und für alles (andere)!

Eine Nacht und alles, Katrin Seddig, 428 Seiten, rowohlt Verlag, 19,95 €