Vorabwehen
So fühlt es sich tatsächlich an für mich, im Hinblick auf Sonntag. Ich kann nicht jedes Detail aufzählen, wer wann was gesagt oder nicht gesagt hat, ich bin so unendlich müde damit. Eine Woche lang lagen die Briefwahlunterlagen auf dem Tisch und ich wusste nicht, was ich tun soll, weiß es immer noch nicht.
Das Treiben in der deutschen Politik kann einen ja schon zur Verzweiflung bringen, aber das Treiben der Amerikaner bricht alle Verzweiflungsrekorde und auch hier weiß ich nicht: ist das neu? Oder bin ich nur das erste Mal auf den Berg geklettert und sehe die Landschaft wie sie ist, während das vor mir schon immer alle anderen auch getan hatten?
Politik war in meiner Familie immer Gebrüll. Lautes Geschrei („Debatte“!), viel Kaffee, viel Kuchen, Goldrandgeschirr und Zigarren, es galt, die ältere Mutter davon zu überzeugen, diese neuen Grünen zu wählen (wir hatten die 80er!), konsequenterweise hatten wir eine Wärmepumpe im Keller (wir hatten die 80er! Und einen Geologen in Form meines physiklehrenden Vaters im Haus), wenig konsequenterweise fuhr dieser Vater einen Rancho und wie schon öfter erzählt, so schnell, dass man den „Tempo 80, dem Wald zuliebe“ Sticker nicht lesen konnte, so rasch war er aus dem Blickfeld schon wieder verschwunden.
Politik fand statt am Kaffeetisch der Oma (Gebrüll und viel Gefuchtele wegen des Zigarrenrauches), am heimischen Esstisch mit Deutschlandfunk, Heribert Schwan und meiner rheinischen Mutter aus der Arbeiterklasse, im Schulbus natürlich und dann lange nicht mehr, weil wir im Internat eine recht homogene Masse waren und die vereinzelten Mitschülerinnen mit „Feminismus“ meistens etwas lästig rechthaberisch gewesen sind.
Selbst hätte ich mich niemals irgendwo politisch verortet, SPD kam da gerade recht, damals mit Schröder, den konnte man nehmen, aber mehr war da nicht an Position, denn: ich hatte mich immer mit allen unterhalten, mit Freunden die SZ lasen, welchen die ZEIT lasen, FAZ, taz oder irgendwas anderes (oder garnichts!), ich war gewohnt, immer bei allem nach der Quelle zu fragen, selbst niemals Meinungen als meine auszugeben, sondern „ich habe das gelesen da und da“ voranzustellen, fragend zu sein. Festzustellen, dass Themen aus den Perspektiven unterschiedlich Betroffener völlig unterschiedlich bewertet werden. Meist waren für mich beide Seiten verstehbar, verständlich, wie also sollte ich mich auf eine der Seiten schlagen können?
Umweltthemen kamen auf, die hielt ich für Konsens, es bekamen ja alle Kinder Keuchhusten, ob CDU oder SPD, ob Republikaner oder MLPD-Kinder, Filteranlagen in Schornsteinen waren eine erkennbar sinnvolle Sache mit unmittelbarer Wirkung in der Umgebung – der Rhein war eine Drecksplörre unbestreitbar, und Ölteppiche, Ozonloch, das waren so Tatsachen. Auch wenn ich die Akteure stets leicht anstrengend fand, hätte ich die Themen nie für falsch gehalten. Als dieses „Klimawandel“ auf den Tisch kam, war ich allerdings befremdet, denn mit eben dieser Frühbildung in Erdgeschichte war ich mir sehr sicher, dass „Klimawandel“ schon immer stattgefunden hatte und selbst wenn er menschengemacht sein sollte in dieser Runde, doch immer nur einzupreisen und nicht aufzuhalten sein wird (weil wir Menschen sind wie wir sind, nicht weil es nicht ginge!!), und das lange bevor man dafür rechts in der Ecke stehen musste.
2021 bei der Wahl hatte ich das erste Mal grün gewählt, weil ich dachte, es wäre eine gute Sache, eine grüne Komponente in der Regierung zu haben, weil Solarenenergie und Wärmepumpen keine Si-Fi-Technologien waren, sondern Themen meiner Kindheit und das Prinzip bleibt ja ein einleuchtendes.
Und dann hat sich die Ampel zerlegt, schon zu Beginn des Ukraine-Krieges hätte eine Selbstüberprüfung stattfinden müssen, weg aus dem Stuhlkreismodus hin zur Realität die, mindestens im Zeitpunkt, leicht überraschend war (oder auch nicht), aber klar war ja auch, dass Putin diese Regierung in ihrer Nicht-Kompatibilität mit zum Anlass genommen hat, genau dann zuzuschlagen. Als er die größtmögliche Spaltaxt in Händen hielt, stabile Verbündete und eine instabile deutsche Regierung in der Findungsphase. Und das war es dann auch an Deutschlands weltpolitischer Bedeutung.
Nun sind wir in der realen Realtität, die ich schon vor Monaten beschrieben habe und ausgelacht wurde, aber dass Trump die Nato in Schutt und Asche legt war klar wie Kloßbrühe. Dass wir dem nichts entgegen zu setzen haben: leider auch. Wir (ich eingeschlossen) dachten ja immer, dass Deeskalation und Demilitarisierung super Konzepte gewesen sind für Frieden. Was wir aber vergessen haben, und das sage ich in aller Härte: wir sind der Tierheimhund geschiedener Eltern, und als solcher agieren wir. Wir wollen immer lieb zu Mama und Papa sein, wir wollen niemanden verärgern, wir glauben, es stehe uns nicht anders zu, und daher haben wir einen unaufholbaren Nachteil, abgesehen davon, dass sich auch die Tanten und Onkels (Europa) nicht einig sind. Man sieht es an der Anbiederung (okay, das ist die leicht klebrige Liebe zum Sugardaddy) der Rechten an Russland, man sieht es an der Friedensbewegtheit der Linken (warum auch immer, am liebsten natürlich aus Pazifismus), man sieht es am Identitätskampf der Grünen (die schon wieder einen Krieg zu bewerten hatten in ihrer Regierungszeit, bitterer kann es kaum kommen).
Aber statt zu sagen: wir gehen vom worst case aus, und den kommunizieren wir, der da ist: Energiekrise, Inflation, Wiederwahl von Trump und nicht endender Krieg (der nur ein Lackmustest ist für unser demokratisches System!), statt zu sagen wohin der Tanker steuert, haben die Kapitäne uns auch angesichts meterhoher Brecher erzählt, wie groß unser Schiff ist, wie gut die Navigationssysteme und wie geil das Material aus dem der Rumpf gebaut wurde. Ja, ist ja toll alles. Aber eine Mannschaft braucht klare, erreichbare Ziele und begehbare Zuversicht, nicht Selbstbeweihräucherung. Statt die Ampel in den wird-schon-irgendwie-werden-Nebel zu steuern wäre es gut gewesen, den Koalitionsvertrag nochmal raus zu holen und alles daran zu setzen,die Stimmung nicht kippen zu lassen. Denn gekippte Stimmung killt jedes Verdienst der Regierung, killt jeden Erfolg und vergiftet jedes noch so gute Konzept.
Und diese Stimmung schöpfen Leute ab, mit denen niemand spielen will, nicht einmal die, die sie wählen, und das ist ein Paradox, das mir nicht in den Kopf will. „Würde die Regierung ihre Arbeit machen, müsste ich die nicht wählen“ höre ich nicht selten, und in meiner Rolle als Wandererin zwischen den Welten erlebe ich seit 2021 Wehen, inhaltlicher Art, aber auch große Schmerzen in Bezug auf diese Wahl die ansteht. Weil ich nicht sehen kann, wie wenig meine Stimme bedeutet, aber auch nicht, wie viel. Weil ich meinen Enkeln erklären können will, warum ich 2025 so gehandelt habe, weil ich nichts aus dem Blick lassen möchte, was vielleicht relevant werden könnte. Und weil mir Figuren wie Musk und Vance weit mehr Angst machen als Trump und Putin, die absehbar abtreten werden, aber diese beiden Jungen, die haben Geld und Verstand und Zeit (!) um uns maximal zu schaden, und ich wüsste gerne, wer der zu Wählenden am Sonntag Format, Willen und Weitsicht hat, diesen beiden zu begegnen. Den würde ich dann gerne wählen. Und da haben wir noch gar nicht über das Einwanderungsgesetz gesprochen.
Pingback: Im bunten Gewimmel - Buddenbohm & Söhne
Pingback: 😭 – readinginsweden
Ein großartiger Text, der auch nach der Wahl mit Gewinn zu lesen ist.
Habe das Zitat rund um „wir sind der Tierheimhund geschiedener Eltern“ mit Link auf X gepostet.
Allzu sehr in Sack und Asche müssen „wir“ uns aber auch nicht reinreden: Es war nicht purer Altruismus der USA, dass sie DE (West) zu einer Demokratie entwickelt haben und zu „IHREM“ Teil der Welt hinzufügten – sondern knallharte Machtpolitik im kalten Krieg! Mit ökonomischen Benefits für beide Seiten…