Burnout Kids – Michael Schulte Markwort
„Halten Sie sich von sämtlichen Ratgebern fern“, sage ich gern zu Mit-Müttern und -Vätern, „umfahren Sie die entsprechenden Regale im Buchladen weiträumig.“ Eine Ausnahme von dieser Regel galt bisher nur für den „Leitdaden für faule Eltern“, und nun für dieses Buch.
„Burnout Kids – Wie das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert“ so lautet der volle Titel, geschrieben hat es Michael Schulte-Markwort, der mir nach wenigen Sätzen schon äußerst sympathisch war in seiner Unaufgeregtheit, und vor allem in seiner Ablehnung gegenüber jeder Idee von neuerdings tyrannischen oder sonstwie entgleisten Kindern, und in seiner Haltung, dass Familienatmosphäre gemacht wird von den Erwachsenen, die die Familie gegründet haben. Das will man nicht immer so gern wahrhaben. Schließlich wirken doch so viele viele Dinge von außen ein, all das Schulzeug, die anderen Familien, die merkwürdigen Freunde der Kinder. Das soll alles keine Rolle spielen?
Tut es wohl schon – aber vor allem indem unsere Kinder sehen, wie WIR, wir Eltern, auf all das reagieren.
Kinder lernen nicht nur das, was wir ihnen Wort für Wort vorformulieren. Das mag zwar alles hübsch durchdacht und pädagogisch wertvoll sein, und mitunter versuchen wir unseren älteren Kindern vielleicht auch eine Lebenshaltung mitzuverkaufen in den neuerdings längeren Gesprächen – aber das ist so durchschaubar, das kauft uns nicht einmal ein*e Vierjährige*r ab, wenn sich unser Verhalten und unser Tun nicht mit dem deckt, was wir so wohlfeil von uns geben.
Michael Schulte-Markwort ist ärztlicher Direktor der Kinder-und Jugendpsychiatrie in Hamburg, und hatte sichtlich Mühe damit, sich so etwas wie ein „Burn out“ bei Kindern überhaupt nur vorzustellen. Er geht auf seine Zweifel daran ein, geht ihnen nach und macht so dem Leser, der Leserin möglich, von anderen Diagnosen Abstand zu gewinnen und möglichst gut nachvollziehen zu können, was ihn dazu gebracht hat, dieses Buch zu schreiben. Es ist mitnichten ein weiteres reißerisches „wir werden alle untergehen, wenn nicht jetzt.sofort.x.geschieht“-Buch.
Anfangs werden kleinere Fallgeschichten erzählt, danach folgt ein kurzer Abriss der anschließenden Maßnahme, inklusive Ergebnis. Erst in einem weiteren Teil beleuchtet er die einzelnen Faktoren, die sich im Laufe der Jahre herauskristallisiert haben: Historisch (biografische) Ursachen (ein mir sehr sympathischer Ansatz!), Gegenwart (z.B. Ökonmoie und Werte), Familie, Schule und Lebensumfeld. Behutsam stellt er nach und nach die Frage, was wir unseren Kindern vorleben und wie erstrebenswert es den Kindern heute überhaupt noch vorkommen kann, erwachsen zu werden, einen Beruf zu wählen, und arbeiten zu gehen.
Er hinterfragt unsere Ansprüche an uns selbst, unsere Ansprüche an unseren Wohlstand, an unsere Kinder und an deren Leistungen, und entlastet auf diese Weise diejenigen Eltern, die schon länger ausgestiegen sind aus dem Hamsterrad und auch diejenigen, die gerade dabei sind, und noch am Absprung zweifeln. (Lesen Sie, wenn Sie nicht glauben wollen, wie vollkommen unnötig Orientierung an Schulnoten ist, diesen Artikel).
Machen Sie also weiterhin einen Bogen um sämtliche Ratgeber – nur nicht um diesen.
Burn Out Kids, Michael Schulte-Markwort, Hardcover, Pattloch 272 S., ISBN: 978-3-629-13065-5, 19,99 Euro (Osiander), auch als eBook.
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