Im Keller war allerdings noch Licht
„… und auf dem äußeren Kreis, da liegt die Geschichte von Lew und seinem Bruder“, höre ich mich sagen, und ich bin froh, dass ich mich sprechen hören kann, denn die Stimme hat sich auf der Fahrt von Mössingen nach Fellbach schon mehrfach äußerst kratzig gezeigt. Überhaupt, die Fahrt nach Fellbach, ein Glück hatte ich vorher mit Gudrun Lack telefoniert, der Veranstalterin. Denn nur so hatte ich erfahren, was für eine hirnrissige Idee es sein würde, durch die Stuttgarter City fahren zu wollen, um gegen 19 Uhr in Fellbach im Kunstverein zur Lesung in der Reihe „Im Keller brennt noch Licht“ zu sein.
„Lassen Sie das bleiben, fahren Sie über die B10“, sagte sie, und ich tat wie geheißen, auch wenn die Alternativroute genau über die Fildern führte, ohne Navi und in regnerischer Dunkelheit. „Ich werde schon nicht verloren gehen“, dachte ich, und richtig, diesmal kam ich erstmals in Esslingen an, weil ich dorthin wollte, nicht, weil ich dorthin gespült worden war.
Hinter mir, auf einer riesigen Leinwand eine Grafik, Kreise und Namen, die Namen meiner Protagonisten, die Kreise die Erzählebenen, vor mir, im Publikum, eine ganze Reihe bekannter Gesichter, Freunde aus ganz ganz frühen Tagen (es war wunderbar, dass Ihr alle gekommen seid!), und als besondere Überraschung „mein“ Verlagsvertreter Mathias Groß, der ganz wesentlich zum Erfolg von Buch2 beigetragen hat, man vergisst das so leicht, dass ein Buch nicht nur geschrieben und gedruckt werden muss, sondern auch bekanntgemacht und in die Buchhandlungen hineinverkauft werden muss.
Der Kunstverein hat einen famosen Raum, ganz und gar nach meinem Geschmack, hervorragende Technik, hervorragende Atmosphäre, kellerig mit Bühne und Theke, und mit erstklassigen Sitzkissen auf den Stühlen, das nenne ich Service.
So eine Lesung ist ja immer ein Wagnis, nicht nur, weil ich auf meine Technik angewiesen bin sondern vor allem, weil ich erst ganz allmählich sicherer werde darin, die richtigen Fäden herausgezupft zu haben, um das Buch vorzustellen, denn nach wie vor ist es so, dass die meisten meiner Zuhörer*innen das Buch noch nicht kennen, was ganz anders ist als bei Suna, da war ich viel später nach Veröffentlichung unterwegs. So muss ich mich entscheiden für eine Perspektive, aus der ich über das Buch sprechen kann, über seine Figuren, seine Themen, über die Sprache vielleicht auch, und über meine Kommafehler, die meine beiden Korrektorinnen wahrscheinlich in die Verzweiflung getrieben haben.
Oder auch Lesestellen. Lese ich das erste Kapitel? Oder besser gerade nicht, weil viele genau das schon kennen? Kann ich es auch beim soundsovielten Vorlesen noch immer so lebendig werden lassen, dass alle in Indien sitzen, bei 40 Grad im Schatten? Und überspringe ich dann besser das nächste Indienkapitel, weil alle ja dann schon wissen, dass sie in Indien sind, oder lese ich es gerade, weil ja auch Lew viel länger dort bleiben muss als er vorhatte? Ist das zu subtil gedacht für eine Bühnensituation, in der die Zuhörer*innen ja noch siebenhundert andere Eindrücke verarbeiten müssen? Unter anderem meine immer schwächer werdende Stimme?
Und dann ist es so, dass alles ganz leicht ging. Das Lesen, das Überspringen bestimmter Abschnitte, das ich spontan entschieden habe, und Kapitel 8, bei dem immer alle lachen an der Wasserleichenstelle, wahrscheinlich wird meine ganz grundlegende Ablehnung gegen kompottisierte Erdbeeren tatsächlich flächendeckend geteilt.
Ich danke allen, die das gestern möglich gemacht haben, Dank an die Menschen vom Kulturverein, und natürlich ganz großen Dank an Grudrun Lack und ihr ganzes Buchhandlungsteam, das war toll in Fellbach, ganz außerordentlich, und wenn ich das hier nicht tippen würde, müsste ich meinen Bericht jetzt flüstern, denn die Stimme hat sich auf der Rückfahrt, irgendwo in der Nähe von Neuhausen, endgültig verabschiedet.
- #1000Tode
- Kein Wasserglas, nirgends.