Kinderzimmerlektoren

Wir lesen Harry Potter. Schon sehr lange, gefühlt mein halbes Leben, lese ich Harry Potter vor. Ich liebe Harry Potter, das ist gar nicht das Problem. Aber ich habe mir eine so hohe Hürde ins Leben gepackt, dass ich manchmal bereit bin, meine eigenen Gesetze zu brechen. Sie lauten: kein Kind darf einen Film sehen, wenn es das Buch dazu noch nicht (selbst) gelesen hat. Das große Kind hatte mit neun Jahren alle Bände durch, nachdem ich ihm den ersten vorgelesen hatte. Die beiden jüngeren Kinder haben sich jeweils bis Band 3 durchgearbeitet, dann hat das eine die Lust verloren und das andere hat mich auf einem Vorlesefuß erwischt, so dass ich Band 3 komplett vorgeturnt habe, und im Augenblick in Band 4 bin.

Was nicht einfach ist.

Band 1 bis 3 sind irgendwie aus einer Feder, einem Guß, in einem sehr stark handlunsgorientierten Duktus, Band 4 hingegen ist unglaublich zäh.

Erst gestern lesen wir das Kapitel über die erste Aufgabe im Trimagischen Turnier (an das ich mich nur dunkel erinnere, ich habe das Buch seinerzeit auf Englisch gelesen und kenne es in Deutsch gar nicht), und die Aufgabe besteht darin, einem gefährlichen feuerspeienden Drachenweibchen ein goldenes Ei aus dem Gelege zu stehlen. Alle Teilnehmer kennen die Aufgabe, weil ihre Mentoren ihnen gesteckt haben, um was es geht (Harry ist nicht freiwillig dabei, ganz und gar nicht, aber er hat dem eigentlichen Champion der Schule ebenfalls verraten, was auf ihn zukommt). Harry hat also Zeit, sich auf den Job vorzubereiten. Er weiß, dass es wohl eine ganz einfache, verblüffend einfache Lösung geben wird.

Er kann gut fliegen. Hervorragend kann er das. Aber er wird im Turnier keinen Besen haben. Fliegen heißt, er kann dem Feueratem ausweichen, den Drachen ablenken, und blitzschnell das goldene Ei stehlen. Ein guter Plan. Wenn, ja wenn er dafür nicht erst lernen müsste, wie er den Besen in das Turnier zaubern kann. Er lernt, er übt, er schafft es, und wirklich: er steht vor dem Drachen, der speit bravt Feuer und hütet drehbuchkongruent sein Gelege. Und Harry ruft „Accio Feuerblitz“, und zaubert sich seinen Besen herbei.

Ich lese vor, bis das Kapitel zuende ist. Dann blicke ich in drei tief verwirrte Gesichter. „Mama“, sagen die Kinder, „wenn er schon den Besen herzaubern kann, warum zaubert er sich denn nicht einfach das goldene Ei aus dem Gelege in seine Hand?“

Und das frage ich mich seither auch.

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