Niemand fliegt hier in den Urlaub
Wer mich kennt, weiß zwei Dinge über mich: ich gehe sehr ungern zum Friseur, und zweitens verreise ich beinahe überhaupt nie, schon gar nicht mit einem Flugzeug.
Aus Gründen, die im Verborgenen bleiben, auch vor mir selbst, fand ich mich im August des letzten Jahres im Reisebüro wieder, neben mir ein äußerst glücklicher Mann, vor mir eine äußerst glückliche Frau, in meinen Händen eine gebuchte Flugreise ans äußerste Ende der Welt. Die Frau war die Dame vom Reisebüro.
„Das sind ja noch 8 Monate hin“, dachte ich beim Hinauslaufen. In acht Monaten, herrjeh, da kann alles mögliche geschehen, es ist ja nur eine Buchung, was soll das schon für eine Bedeutung haben. Ein Papier!
Irritierend häufig sprach aber nun der Mann vom „bevorstehenden Urlaub“. Er bastelt gern und hört dabei klassische Musik, und als ich ihn fragte, was es dieses Mal sei, da lächelte er und sagte „Die Boardingmusik unserer Maschine in Frankfurt“. Er liegt auch gerne auf dem Sofa und schaut Videos und als ich fragte, was es dieses Mal sei, da lächelte er und sagte „Das Abendbüffet in unserem Hotel auf der Insel.“
Er mag die Deutsche Bahn nicht so gerne, weswegen wir am Tag vor dem Flug am Bahnhof unserer Kleinstadt standen, ich mit dem niegelnagelneuen Handgepäcksrucksack in Neonorange, damit ich ihn stets auf den ersten Blick finde, er mit dem Blick eines Mannes, der sich mit bloßen Händen dem Hurrikan entgegenstellen wird, der sich zwischen ihn und das Flugzeug in seinen Urlaub schieben könnte. Sagte ich schon, dass um unsere Abreisedaten herum gestreikt wurde?
Es ist ja nur eine Bahnfahrt, dachte ich, was soll das schon bedeuten? Ich fahre einfach mit dem Zug herum, die Koffer nur zufällig dabei.
Wir fuhren pünktlich ab und kamen zu spät in Stuttgart an für den Anschluss, ich frage mich, wie die Bahn das geschafft hat, ich bin das letzte Mal Bahn gefahren, ich glaube da hieß es noch Fahrkarten und ein beleibter Mann hat sie mit seinem furchteinflößenden Zangengerät gelocht. Damals waren die Züge noch auf die Minute, heute würde Harry Potter mit der Deutschen Bahn zu Beginn des dritten Schuljahres in Hogwarts ankommen, die ersten zwei Bände für die Katz!
In Frankfurt erreichten wir unser neues Hotel, im neuen GatewayGardens, umringt von noch neueren Bürogebäuden, dazwischen ein Rewe mit Socken im Sortiment, die hatte ich nämlich nicht eingepackt gehabt. Der Rückweg besinnlich in den Sonnenuntergang, Schaufenster, Flugangstseminare, italienisches Essen, viel Leerstand, und ein Schild mit der Aufschrift „Hairport“, einer Kombination aus Friseur und Blumenladen, erstaunliches Konzept. Wesentlich erstaunlicher: ich saß 20 Minuten später auf einem Friseurstuhl, in der Tasche meine Ersatzsocken, in meiner Faust das Asthmaspray, bei Heuschnupfen im Blumenladen eine verständliche Maßnahme. Der Mann unterdessen im Stadion für Spezialitäten aus dem Fanshop.
Unser Flug sollte um 17:30 Uhr am nächsten Tag starten.
Die nun folgenden Ereignisse sind NICHT „ausgedacht und etwaige Ähnlichkeiten nur zufällig!“ Sie haben sich so zugetragen, sie erfahren in der Nacherzählung lediglich eine gewisse Verknappung.
Um 4:30 Uhr ein unglaubliches Gefühl im Magen, ein unglaubliches Geräusch im Ohr. „Feueralarm“, sagt der Mann routiniert, er war früher einmal bei der Feuerwehr gewesen. „Siebter Stock“ denke ich, und öffne die Türe zum Gang, kein Rauch keine Flammen, ich schließe sie wieder. „Ziehen wir uns noch an?“ frage ich und springe in Hose und Mantel, es sind ungefähr 5 Sekunden vergangen. Handy und Handgepäck, Geldbeutel und Schuhe und wir steigen die SIEBEN Stockwerke hinunter.
Unten das gesamte Hotel, mehr oder weniger bekleidet, das Feuerwehrauto mit Blaulicht vor der Tür, aber keine Drehleiterwägen und auch nur eins. Der Mann googelt die nächstgelegene Wache, erste Spekulationen tauchen auf zur Ursache, sicher ist nur: es ist kein Fehlalarm und auch keine Probe, die ist nämlich jeden Freitag um 11 Uhr vormittags, es ist erst Donnerstag und die Uhrzeit stimmt auch nicht. Am Ende dürfen wir wieder zurück in die Betten, also mit dem Aufzug fahren in den Siebenten, und einschlafen zum blinkenden Blaulicht des Wagens, der vor dem Hotel geparkt blieb. Mich ficht all dies nicht an, ich habe ja die Haare geschmeidig.
Am nächsten Morgen mit Gepäck, Handgepäck, Mäntelchen von Barbour und zum Innenfuttermuster passender Halstuchsache zu Fuß zum Terminal, ein Steinwurf, ein Abenteuer. Die Frisur: perfekt. Wir lachen zusammen über den Schrecken der Nacht, wir überlegen, wie die vielen Taxifahrer auf der Wiese im Sommer ohne Schatten warten können, wo wir am sichersten über die zweihundertspurige Straße können, und dann: Polizeiabsperrung vor unserem Check-In-Schalter, Bombenalarm, Kategorie Hurrikan zwischen uns und dem Urlaub. „Ich glaube wir warten einfach hier“, sage ich, beeindruckt vom Maschinengewehr des Polizisten direkt vor uns, bei genauerem Hinsehen waren es sicher beinahe vierzig Mann. Ein einsamer Rollkoffer, ein elektrisch betriebenes Räumfahrzeug, ein Mann in Vollschutzanzug und mit einer Sonde, kurze Zweifel auch, ob eine Bombe sich wirklich an die Absperrung halten würde, und dann Entwarnung, der Besitzer des Koffers gefunden und wahrscheinlich ein paar Tausend Euro ärmer, er muss den Einsatz bezahlen, so sagten die Umstehenden, „ganz schön dumm.“
Überflüssig zu erwähnen, dass wir uns im Check-In-Schalter geirrt hatten und ganz woanders gefragt sind. Mein Haar weht sachte im Ventilatorenwind.
Noch immer mit solider Frisur passiere ich magische Geräte, Scanner, Passkontrolle, Gitterwege wie an der Bushaltestelle meiner bayerischen Schule, Staunen über all diese Technik, ich bin das letzte Mal geflogen, als wir die Tickets noch in D-Mark bezahlt haben. Der Mann schon durch die Passkontrolle, die Abtastkontrolle, die Handgepäckskontrolle, ich denke: ich bin nur hier am Flughafen, einfach so, niemand muss fliegen, keiner irgendwohin, ich schaue nur herum und bewundere den Fortschritt in der Sicherheitstechnik, in der Glaswand vor mir mein wunderschönes Spiegelbild.
„Treten Sie bitte zur Seite“, sagt eine Dame, plötzlich recht streng, eine weitere schiebt mich vor sich her, ein Herr in Uniform starrt auf den Handgepäckscanner, ich erkenne meinen neonorangenen Handgepäcksrucksack und denke noch „für so einen Fall war das ja nun nicht gedacht“, als ein weiterer Herr zwischen mich und den Scanner tritt und auf eine Dynamitstange weist, die prächtig zwischen meinen Bikinis prangt, mit Zündschnur und allem Pipapo, wie im Cartoon.
„Ich glaube nicht, dass es das ist, was Sie hier sehen“, sage ich, da sind sie schon zu sechst um meinen Handgepäckskoffer, sie debattieren und weisen immer wieder auf diese Stange, ich sage, „machen Sie es doch einfach auf, dann werden Sie sehen“, aber das scheint nicht der Text zur Entschärfung der Situation zu sein, ich muss „ganz dahinten“ warten und mein Herz sinkt ein wenig tiefer, ich bin noch immer fast sicher, kein Dynamit eingepackt zu haben, nur Bücher, und Sonnencreme und Bikinis, eine Hose falls der Koffer verloren geht, der Mann ist Reiseexperte und hat mich hervorragend gebrieft, Dynamit war auf keiner der Packlisten dabei.
„Nimm mal den anderen Filter“, sagt da ein neuer Mann in Uniform, ich bin jetzt sicher, dass die Kontrollen an den anderen Schaltern zum Erliegen gekommen sind, sie stehen jetzt alle vor meinem Rucksack. Ein anderer Filter? Der scheint die Lösung zu sein, alle entspannen sich und lachen und ich winke vorsichtig und frage, ob ich wieder raus darf aus meiner Ecke und ich darf und sie machen noch Abstriche auf Drogen und – nun ja – Sprengstoff, und ich darf meinen Rucksack nehmen und zu meinem Mann hinter die Glasscheibe. – Es kann ja keiner ahnen, dass EIN Hardcoverbuchrücken unter sechs Taschenbüchern und ein Kopfhörerkabel gemeinsam eine Dynamitstange auf einem Scanner bilden, im Jahr 2023. am Flughafen in Frankfurt. Über all diesen Ereignissen kann man jedoch hervorragend vergessen, dass man Flugfurcht hat und eigentlich ja gar nie „in den Urlaub“ wollte.
Später, auf der Insel, am Strand unter den Sternen, mit Schirmchendrinks in der Hand, sage ich zum Mann, wie froh ich bin, dass er damals, im Reisebüro, als ich auf die Bilder der Insel zeigte und sagte „also da finde ich es eigentlich ja schon schön“ einfach nur sagte „dann buchen wir das.“
Er streicht mir eine Strähne aus der Stirn und sagt nur leise „ich auch.“
- Bov Bjerg – Serpentinen
- Durch den Monsun
Dass wir Jahre auf diese Geschichte warten mussten, ist nicht schön. Ich fordere öftere Urläube. Alternativ den Aufschrieb all der schönen Buchladengeschichten. Oder am besten beides.
Lieber Uli, dies hier waren ja nur die ersten 24 Stunden… davon 12 mit doch erheblicher Ereignisdichte. Beflügelnd, womöglich :))
Für öftere Urläube reiche ich bei der inneren Chefin direkt was ein mit mehreren Durchschlägen.
Für diesen musste ich allerdings auch über längere Zeit hinweg ranleben.
Pingback: Währenddessen in den Blogs, Ausgabe 18.6.2023 – Buddenbohm & Söhne
Liebe Pia,
was bin ich froh, dass du dein Passwort wieder gefunden hast 🙂 – einfach geniaaaal, und das reale Leben ist einfach nicht toppen. Jetzt kannst du die nächsten Urlaube getrost antreten – was soll da noch passieren 😉 ?!
Liebe Pia, herrlich formuliert… Ich war förmlich dabei!!!
Hoffentlich fängst du bald an u schreiben… Ich bin deine allererste oder eine der ersten Kundinnen😂.
Herzliche Grüße Klara