Überwachung beenden. Aus reiner Logik
Vertrauen ist der Rohstoff, aus dem soziale Beziehungen in neue Qualitäten wachsen können. Was eine friedliche Gesellschaft auszeichnet, ist nicht die Abwesenheit von Krieg, sondern dass der der eine mit dem anderen in Interaktion treten kann, weil er Erwartungen haben darf, dass es für ihn gut gehen werde. Dass wir positive Erwartungen hegen dürfen, gilt nicht für nur das Respektieren unserer eigenen Rechte, nicht nur für archaische Handlungen von Mord und anderer Gewalt, sondern Vertrauen ist auch der Rohstoff für Tauschbeziehungen in der Wirtschaft – es ist im Grunde fürs jedes gesellschaftliche Teilsystem so wichtig, dass man es als strukturgebend bezeichnen kann, weil sich Menschen in ihren Rollen so verhalten, wie es andere erwarten.
Dies schreibt Christoph Kappes in seinem klugen und unbedingt lesenswerten „Letter from Hamburg“, und nennt damit das Essentielle, das Gesellschaften auf allen Ebenen zusammenhalten kann, beim Namen: Vertrauen.*
Wir müssen nicht nur die technische Seite der Überwachung und Kontrollsucht begreifen, sondern das Menschen- und Weltbild hinterfragen, das einer Idee wie PRISM oder Tempora zugrunde liegt. Technologie allein ist nicht der Schlüssel, so wenig ist übrigens auch Verschlüsselung die Lösung, das nur nebenbei. Oder doch nicht nebenbei, denn mir mag es nicht behagen, dass hier allzu häufig „Sicherheit“ und „Versicherung“ verwechselt werden. Im Falle der unverschlossenen Haustür zum Beispiel. Wahrscheinlich geht niemand davon aus, dass ein kleines Türschloss wirklich vor einem Einbrecher schützen kann. Trotzdem schließen viele ihre Türen ab, sogar zweimal. Warum? Weil sonst die Versicherung den Schaden nicht bezahlt. Das Abschließen dient also nicht dem Schutz, sondern der Herbeiführung einer Schadensausgleichsmöglichkeit. Und da sind wir wieder bei PRISM. Diese Art der Überwachung kann noch immer keine zutreffenden Vorhersagen machen und keine Anschläge verhindern. Aber solche Programme zu verwenden entspricht dem doppelt herumgedrehten Schlüssel: es macht das gutes Gefühl, für einen nachfolgenden Prozess alles Nötige getan zu haben, es schafft also gefühlte Sicherheit, und das auch nur innerhalb eines determinierten hermetischen Weltbildes. Einem voller alttestamentarischer Widersacher.
Ich mag mir nicht vorstellen, auf welche Weise die Erfinder eines solchen Instrumentes zu der Überzeugung gelangt sind, ein solches sei notwendig. Ich habe an anderer Stelle schon geschrieben, es müsse sich um eine Gruppe traumatisierter alter Männer handeln, die in ein paar Kriegen zuviel gewesen sind. Wahrscheinlich trifft das sogar zu. Dem gilt es aber, entschieden entgegen zu treten. Wir dürfen uns keinesfalls einreden lassen, dass wir nur dann sicher voreinander sind, wenn wir einander misstrauen und kontrollieren. Das wollen wir weder im Privatleben (dort kontrollieren wir ja auch nicht die Handys unserer neuen Liebe), noch in der Politik.
Aber es gibt eine ganz einfache Lösung:
Sämtliche Verträge, die Überwachung möglich machen, müssen auf den Prüfstand, wie Lars Klingbeil gestern in der ZEIT schrieb. Kontrolle und Misstrauen bzw. Beobachtung hatten zu einer völlig anderen Zeit eine gewisse Berechtigung, aber jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir schon aus reiner Logik, mit all dem aufhören können. Aus Logik? Ja.
Denn wir haben ja nichts davon gewusst. Unsere Regierung nicht, unsere Dienste nicht, niemand. Und trotzdem haben wir uns zu beachtlichen Demokraten entwickelt. Obwohl wir keine Ahnung davon hatten, Teil einer überwachten Versuchsanordnung zu sein, die, hätten wir davon gewusst, unser Wohlverhalten womöglich notwendig gemacht hätte. Hat sie aber nicht. Damit ist die weitere Beobachtung und Überwachung obsolet geworden. Aus rein logischen Gründen.
*(Ich nenne Vertrauen auch gerne die Dunkle Materie des menschlichen sozialen Lebens, man kann es nicht fassen, nur seine Wirkung erkennen).
edit: Soeben erst gesehen: auf CARTA schreibt Friedemann Karig über die „Verschlüsselkinder“ und macht recht deutlich, was passiert, wenn wir uns auf ein Hase-und-Igel-Spiel auf dieser Ebene einlassen.
und auf SPON: Fünf schlechte Argumente für mehr Überwachung
oder Thomas Stadler mit grundsätzlichen Überlegungen Vom Nutzen der Geheimdienste für unsere Sicherheit
- Überwachung praktizieren wir selbst. Jeden Tag.
- Reden wir über Grenzen