Vereinbarkeit? – Ha.Ha.Ha.

Das Internet ist im Augenblick voll mit Texten zu Vereinbarkeit, und damit ist nicht Skat oder Kegeln gemeint, sondern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, also Erwerbstätigkeit. Der Grundtenor: man müsse sich nur genügend anstrengen, und schon sei das eigentlich kein Problem, alles nur eine Frage des Wollens. Beide in Teilzeit, Stundenkonten, alles 50:50 aufteilen, Erwerb und Care – toll.

Kurzfassung: Vereinbarkeit gibt es nicht. Maximal für Väter, die unbehelligt 100% zur Arbeit gehen, unabhängig davon, wie viele Kinder sie haben. 

Vereinbarkeit, Familie, Beruf, KinderIch bin seit rund 13 Jahren mehr oder weniger stille Beobachterin der Szenerie, und mit drei Kindern leidlich kompetent, um eine kleine Gegenäußerung zu tätigen. Was in Großstadtlagen und entsprechendem Umfeld eventuell denkbar sein könnte (viele Konjunktive) ist mit mehr als einem Kind, mit mehr als einer halben Stunde Anfahrt zum Job und mit gewissen Jobs, die nicht von einem Applegerät aus zu erledigen sind, schlicht nicht denkbar.

Die Lage

Meine Kinder sind alle drei vor der Ära des Elterngeldes geboren. Das Jüngste ist dermaßen knapp daran vorbeigeschrammt, dass ich noch immer verwunderte Blicke von Neu-Eltern ernte, wenn ich erzähle, dass wir damals überhaupt keinen Pfennig bekommen haben für unsere Kinder, und sowas wie Vätermonate wie ein lustiger Witz aus Schweden klang. So lang ist das nämlich noch nicht her, dass sich Dinge getan haben, und daher ist es wichtig – wie übrigens IMMER – Elternmodelle und Familienmodelle erstens nicht gegeneinander auszuspielen und zweitens unbedingt über den Tellerrand zu schauen und sich aus seiner eigenen Blase zu begeben.

Elternschaft führt – 13 Jahre Beobachtung, wie gesagt – nur leider allzu oft zur lästigen Nabelschau bzw. zu sonderbaren Dingen wie „ich habe entdeckt, wie man Marmelade kocht – nun müssen es aber alle entdecken!“, wobei vergessen wird, dass die Menschheit seit Erfindung des Gelierzuckers Marmelade kocht, und sogar schon seit davor. Eltern werden ist eine Lebensstation, ja. Aber viele Menschen vorher und nachher erleben sie, und es wäre schön, wenn das einfach wieder etwas völlig Normales werden könnte.

Womit wir mitten im deutschen Problem sind: hier bekommt ja keiner mehr Kinder.

Gründe

Woran das liegen kann? Nun ja, ich habe da eine Antwort. Es liegt an der fehlenden Normalität, dass Kinder eben da sind und genauso zum Leben gehören wie, ähm, wie die Tapeten an der Wand? Wie die Blätter an den Bäumen? So in etwa. Dass sie so normal dazugehören, dass niemand im Büro rumdrucksen muss, weil sie schwanger ist, weil er noch ein Kind erwartet, weil alle früher nach Hause müssen zum Laternenumzug. Dass wirklich niemand überlegen muss, bewerbe ich mich auf diese oder die andere Stelle, dass keine Familie Hunderte von Euro bezahlen muss für Betreuungsplätze – und dass vor allem endlich endlich anerkannt wird, was es heißt, ein Kind in diese Welt hineinzubegleiten.

All das findet nämlich nicht statt. Wenn wir von Vereinbarkeit sprechen, muss zuerst klar sein, dass wir hier als Gesellschaft Kinder bejahen. Was definitiv nicht der Fall ist. Im zweiten Schritt brauchen wir Einigkeit darüber, dass Kinder bekommen zwar eine private Entscheidung ist, aber sie ist im Ergebnis ein Beitrag für uns alle, für unser Zusammenleben, für die Zukunft – und ab da dürfen wir nicht den beiden, die sich für ein Kind entschieden haben, die Kosten für eine Infrastrukur (die wir ihnen ja aufzwingen!) ans Bein binden. Nochmal: Hunderte für einen Kitaplatz? Irrsinn.

Der nächste Punkt: wer verdient denn das Geld für diesen Kitaplatz? Das sind, fackeln wir nicht lange, die Mütter. Die geraten auf diese Weise nicht selten in die Lage, mehr oder weniger für die Kostendeckung der Betreuung zu arbeiten, und für viel mehr reicht es nicht. Oder sie arbeiten sehr viel mehr als sie wollen, „damit es sich lohnt“, getrieben von „denk an dein Alter!“, „denk an die Karriere!“, „denk daran, dass du mehr bist als nur Mutter!“ etc. Also stehen Frauen mit der Einjährigen auf dem Arm morgens um sieben auf der Kitamatte, reißen den Tag über ihren Job runter, sehen abends nochmal eine Stunde das Kind und das war es gewesen. Nicht wenige – man muss allerdings ein wenig bohren – wollen das überhaupt nicht. Nicht wenige spüren nämlich, wie ihnen an drei bis vier Fronten die Kräfte ausgehen, weil ein voller Job und ein ganzes Kind, eine ganze Beziehung und ein halber Haushalt eher für zwei bis drei Personen angelegt ist – und nicht für eine allein.

Vereinbarkeit – da gibt es doch auch Väter?

Womit wir bei den Vätern ankommen. Denn wo sind die eigentlich? Ah – die sitzen auf ihrer Vollzeitstelle, die sie schon vorher hatten, die sie nicht reduzieren mussten wegen Schwangerschaftsdingen, oder für 14 Wochen verlassen für den Mutterschutz, sie haben nicht geboren, nicht gestillt. Das sind alles körperliche Vorgänge, die weder politisch noch medizinisch veränderbar sind, die nicht wegdiskutiert werden können: wir Frauen setzen uns mit vollem Körpereinsatz ein für den Nachwuchs, der, wie gesagt, die Zukunft für uns alle ist. Körpereinsatz, der nicht immer spurlos vorübergeht, und damit meine ich nicht die Kilos, sondern alle Veränderungen, auch die hormonellen und die psychischen.
Ja, es gibt Paare, die andere Lösungen haben, die will ich nicht kleinreden.
Aber sprechen wir doch mal kurz von Berufen, die beispielsweise Schichtarbeit verlangen. Im Krankenhaus. Da helfen 50:50 Modelle nämlich wenig, weil die Arbeitszeiten schlicht nicht über einen längeren Zeitraum planbar sind. Der Vater meiner Kinder hatte zwar monatliche Dienstpläne, aber mit täglich wechselnden Schichten, so dass ich eigentlich nie wissen konnte, an welchem Wochenende er im kommenden Monat überhaupt zuhause sein könnte – und zu welchen Zeiten.
[update: ich wusste natürlich auch nicht, an welchen Wochentagen er da war, und wenn ja, ob morgens, mittags, abends oder nachts. Drei bis fünf Nachtschichten bringen außerdem zwei bis drei Tag körperliche Zurückumstellung mit sich… Überflüssig zu sagen, dass es auch keine Großeltern gab.]

Oder Feiertage. Die ersten Weihnachtsfeste habe ich mit den Kindern allein gefeiert, weil man entweder Weihnachten ODER Silvester freibekommen konnte, und ich dachte, wenn die Kinder klein sind ist es ja egal, ob der Papa da ist oder nicht, erinnert sich eh keiner dran, und wenn wir Silvester haben und Freunde sehen können, haben wir als Erwachsene und als Paar mehr davon.

Außerdem ist Krankenpflege eher beschissen bezahlt, reden wir nicht drumrum, und die Zulagen für Wochenenden und Feiertage waren immer dringend gebrauchte Beigaben. So hat sich für uns mehr oder weniger organisch die 100:0 Lösung ergeben, ER geht zur Erwerbsarbeit, und ich bin für die Kinder da. Bei 3 Kindern unter 3 lässt sich das vielleicht auch nicht anders regeln, jedenfalls war für mich klar, dass ich das so und nicht anders möchte. Ich hätte mir zu keinem Zeitpunkt in den ersten drei Jahren vorstellen können, morgens um 8 Uhr an meinem Schreibtisch zu sitzen und Drehbücher oder ansprechende Werbetexte zu schreiben. Zu keinem.

Arbeitest du nix?

Wir hatten damals ein Haus auf dem Land, das wir mit Holz beheizt haben, und das wenige Geld (wir sind mit 1400 Euro netto gestartet, nennen wir es beim Namen) musste extrem gut aufgeteilt werden, damit wir Essen hatten, Heizung und Klamotten für die Kinder.

Womit wir wieder beim Anfang wären: das sind Kompetenzen. Für drei (Klein-)Kinder da sein. Haushalten können. Gutes Essen zubereiten. Genug Geld für den Tank haben. Die ganze Logistik zu bewältigen weitab vom Schuss. Den Garten betreiben, damit mal Salat und Gemüse da ist. Aber – und ich habe darunter gelitten – da kommt keiner und klopft dir auf die Schulter und sagt: „Wie machst du das, nach 2 Stunden Schlaf in der Nacht?“
Da sagt niemand: „Mensch, was du dir alles draufgeschafft hast an Fachwissen zu Kinderkrankheiten, Entwicklungsfragen, und so weiter“ (das war noch vor dem Internet!, bzw lang vor social media mit all den anderen Müttern Eltern drin!).

Nein. Was sagen die Leute stattdessen? „Arbeitest du nix?“

Was habe ich diesen Satz gehasst. Nein, ich sitze den ganzen Tag in der Sonne, mit dem Baby an der Brust, und schaue den Stoffwindeln beim Trocknen zu. (Habe ich wirklich gemacht).

Diese Frage drängt Mütter in eine ganz fatale Sache: sie wollen plötzlich ihre Mutterarbeit sichtbar machen. Und wie macht man sie sichtbar? Indem man lauter sichtbare und damit messbare Dinge findet, und so entstehen auf der einen Seite die abendlichen Wehklagen gegenüber dem Partner, der „natürlich NIE sieht“, wie viel zu Hause getan wird, und auf der anderen Seite die ganzen perfekten Blogs, über die dasnuf letzthin so treffend schrieb. Oder Frühförderung, mein Lieblingsthema. Oder diese ganzen „das braucht ein Kind – BIETE ES IHM!“-Vorstellungen. Die Kehrseite: schon wieder Überforderung, Stress, Fassade und Bühnenzwang, der nicht daher kommt, dass es instagram gibt, sondern aus der gefühlten Notwendigkeit, die Arbeit im Haus, am Herd und mit den Kindern in eine Gleichwertigkeit zur Erwerbsarbeit zu setzen. Zur Erwerbsarbeit des Partners, aber auch zur Erwerbsarbeit all der anderen Frauen.

Ich würde so gern eine Agentur gründen für Elternlob.

Um Entlastung zu schaffen und Anerkennung und Wertschätzung zu verteilen. Denn die eigentliche Sache ist doch die Begleitung der Kinder in den ersten paar Jahren, damit sie ein Fundament haben und später als gefestigte und runde Persönlichkeiten ihren eigenen Weg gehen können. Ohne dass wir Erwachsene uns daneben zerbröseln müssen.

Die mögliche Lösung

Es ist doch alles nur eine Phase! Die Kinder werden doch so rasch groß. Warum können wir also nicht Eltern Eltern sein lassen, geben ihnen für ein paar Jahre genug Geld und lassen sie danach völlig selbstverständlich wieder zurück in ihren Job? Warum klammern wir uns so sehr an lückenlose Erwerbsbiografien und respektieren nicht die Fürsorgearbeit für Kinder? Das gilt für Mütter und Väter! Warum können wir nicht drei, vier Jahre im Leben der Kinder für Ruhe sorgen?
Meine Kinder sind jetzt zwischen 9 und 12 Jahren alt, sie sind, soweit man das sagen kann, irgendwie gut geraten. Sie haben das gut weggesteckt, dass ich die ersten 5 Jahre komplett für sie gesorgt habe ohne nennenswerte Erwerbsarbeit, und sie verkraften auch meine freiberufliche Anwesenheit zuhause. Denn es war so: quasi in der ersten Minute ihres Größergewordenseins habe ich meine Arbeit wieder aufgenommen. Das jüngste Kind war 3 Jahre alt, als ich SUNA geschrieben habe und angefangen habe, damit zu Messen, Verlagsterminen und Lesungen zu fahren.

Gut, das war ein unkalkulierbarer Erfolg, nicht jedes Buch geht diesen Weg, aber es hätte ja auch jede andere Arbeit sein können. Und ich bin fest davon überzeugt, dass wir alle besser fahren würden – und auch die Elternbeziehung erheblich entlasten würden! – wenn wir allgemein zum Phasenmodell übergehen würden und es für keine Mutter und keinen Vater ein Problem darstellen würde, für zwei oder drei Jahre mehr oder weniger aus der Erwerbsarbeit auszusteigen und für die Familie da zu sein.

Dann gäbe es keine tagsüber abwesenden Elternteile, die zwar 50% Eltern sind, und gern 100% Eltern wären, aber nur 10% abliefern können, weil sie eben nicht da sind. Physisch nicht, und mental ja auch nicht.

Ich möchte nicht wissen, wie viele Partnerschaften an diesen kleinen alltäglichen Dingen zerbrechen, den immer wiederkehrenden Gesprächen und den im Untergrund lauernden Fragen nach Vaterbildern, Mutterbildern, Kinderentwicklungswegen … und der dabei nicht einmal ausgesprochenen, aber gefühlten Unzulänglichkeit. Und das, würde ich sagen, ist dann doch ein ziemlich hoher Preis.

 

 

UPDATE:

Hier schreibt der Ersatzpapi: „Wenn eine Spezies es geschafft hat, dass die Versorgung des Nachwuchses unwichtiger wird, als der berufliche Erfolg, läuft irgendetwas schief.“

Einige Gedanken zu “Vereinbarkeit? – Ha.Ha.Ha.

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