Wertschätzung
Es gibt Lebensphasen, die zerlegen einen. Von oben bis unten. Und wenn man Glück hat, wird man anschließend wieder neu zusammengebaut, mit dem ein oder anderen ausgewechselten Ersatzteil womöglich.
Ich habe einige dieser Zerlegungen durch, nicht immer wurde danach ein neues Betriebssystem aufgespielt oder auch nur ein Update – dann musste ich noch einmal denselben Fehler machen oder dasselbe Muster bedienen und dann war dieses learning vielleicht doch noch möglich.
Pubertät ist so eine Phase, vielleicht junges Erwachsensein, älteres junges Erwachsensein. Ein Kind bekommen – was für eine Transformation! Oft zeigen diese Veränderungen nach vorne, es geht weiter. Aber manchmal nicht, und das ist, wenn das Kind, das diese allererste Transformation eingeläutet hat, selbst in die Pubertät gelangt ist und auf dem Weg zum Erwachsenwerden jede Menge Spiegel in der Hand hält. Die es sich selbst vorhält, aber auch jedem und jeder in der unmittelbaren Reichweite, und ich hätte nicht gedacht, wie unangenehm das werden kann. Für mich. Für das betreffende Kind vielleicht auch, aber das ist ein Seitengedanke, denn ich glaube, Wachstumsschmerzen gehören immer zum Weiterkommen dazu, insofern gehören sie dorthin – aber ich hatte sie eigentlich nicht abonniert und auch nicht gedacht, dass ich das in meinem gesetzteren Alter noch einmal müsste: den ganzen Kasten aufbohren und hinschauen wo es weh tut, und bei mir ist das heute: gegen Widerstände Forderungen stellen.
Und zwar nicht solche, die auf der Hand liegen. Nicht solche wie „Tisch abräumen nach dem Essen“ (oder überhaupt am Tisch zu essen, oder überhaupt warmes gekochtes Essen zu sich zu nehmen – das ist in den Bereich des Ratschlages abgerutscht), sondern solche, bei denen der Maßstab für die Forderung einzig und allein in mir und meiner Person zu suchen ist. Forderungen, die mich selbst betreffen. Hilfe bei Dingen, die ich schlicht nicht (mehr) kann. Schwere Dinge tragen. Beiträge zur Gemeinschaft im Haus leisten, die ich nicht mehr kann, auch wenn ich es Jahre lang so gemacht habe.
Verhaltensweisen an den Tag zu legen, die einfach nur mir als Person, Mutter, Erwachsener im Raum wichtig sind.
Noch vor einem Jahr hätte ich gesagt: hey, DAS ist ja wohl die leichteste Übung! Ich habe jahrelang vorgelebt, dass man einander hilft, sich nicht die Köpfe einschlägt ohne vorher Argumente ausgetauscht zu haben, dass man zuhört und Ratschläge nur gibt, wenn sie erfragt werden, all das.
Jahrelang ging das auch ganz gut. Ich hatte von drei Kindern immer eins im verwendbaren Hilfsmodus, eines war immer gerade einsichtig, irgendwie haben am Ende doch oft alle geholfen und beigetragen.
Seit ein paar Monaten jedoch haben sich Fronten gebildet, sind Kampflinien entstanden (an deren Rändern ich mich anhöre wie meine eigenen Eltern – ein separates Thema), und statt „Gemeinschaft“ ist „Logik“ in die Argumente eingeflossen. „Du hast das nicht gesagt als wir das besprochen haben“ ist noch das mildeste Abwehrargument, andere sind „Ich kann das nicht“, „ich will das nicht“, „ich bin nicht dran damit“, „ich war das nicht“, oder ganz beliebt auch: „du kannst mich nicht zwingen“.
So lächerlich das klingt, aber ich kapituliere ganz schnell, wenn ich „ja wirklich nicht gesagt hatte, dass nach dem Wäsche aufhängen noch der Rasen gemäht werden muss“ – oder wenn ich nicht gefragt, sondern einfach nur angesagt hatte.
Woher kommt das, frage ich mich als reflektierte Person natürlich, warum handeln die Kinder wie sie es tun – gebe ich ihnen den Raum dazu?
„Du musst viel strenger sein“, sagen die einen, „KONSEQUENZ!“ sagen die anderen, und „das verwächst sich“ die Dritten.
Ich halte mich für klar in dem was ich will, oft nicht konsequent genug, und ich bin fassungslos, wie das passieren konnte, dass sich das nicht verwächst sondern aufzuplöppen scheint in einem bestimmten Lebenszyklus des jeweils erwachsen werdenden Kindes.
Mein Verdacht ist, die Wurzeln liegen sehr viel tiefer, früher und weiter vorn im Leben der Kinder, in einer Zeit, als sie erlebt haben, bewusst oder unbewusst, wie wichtig ich mir selbst gewesen bin (eher wenig), wie wesentlich ich mich selber ins Zentrum meines Lebens gesetzt hatte (eher nicht), und wie ich aufgrund dieser Konfiguration mit Konflikten und Forderungen umgegangen bin: ich hab’s dann eben selber gemacht. Und allein. Immer wieder. Die Wurzeln dafür: noch viel früher in meinem eigenen Leben.
Heute war Muttertag, ein Tag den zu feiern ich natürlich immer abgelehnt habe, aber heute war das Nicht-Feiern zum ersten Mal schmerzhaft gewesen. Es ging nicht um den Tag und das „Mutter“ darin, sondern um die Versammlung all dieser Zerlegungsgefühle der letzten Monate in der Tatsache, dass niemand an den Tag heute gedacht hatte (und mir nicht nur die Gelegenheit zur rituellen Abwehr geraubt war) sondern ein neues, unbekanntes bodenloses Gefühl an Verlorenheit entstanden war, vielleicht ein wenig wie beim empty nest, wenn die Kinder ausgezogen sind und man sich fragt, ob man noch Eltern ist jetzt.
Ich glaube, dass diese Themen alle Hand in Hand gehen. Das Sich-selbst-etwas (und nicht gerade wenig!)-wert-sein und die Sicherheit dabei, ganz selbstverständlich Forderungen zu stellen und Erwartungen zu haben. Es ist das eine, in buddhistischer Gelassenheit einen Arbeitstag zu gestalten, in liebevoller Hingabe die neue Beziehung zu leben (und in beiden Fällen gelassen und ausgeglichen anzunehmen, was kommt) – und das andere, durch die Kratzbürstigkeit und tatsächliche Arroganz eines Teenagers zurückgeworfen und gezwungen zu werden, ganz klar auszudrücken, was ICH möchte. Auszuhalten, dass da ausprobiert wird, was man als Kind im Aufwachsen erlebt hat, dass da Schmerz über die eigenen Verletztheiten ausgelebt wird und irgendwo auch „nur“ Grenzen getestet werden.
Ich übe noch, und ich weiß tatsächlich streckenweise nicht, wie anstellen.
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